Umzingelung von allen Seiten.



02 MAI 17

Umzingelung von allen Seiten-Zeitblomstr.43/1 und 43
Vor vielen Jahren, als die allerersten kulturellen Austauschaktionen mit der Volksrepublik China zustande kamen, gab das staatliche Symphonieorchester der VR China ein Konzert in Stuttgart, das ich besuchte. Gespielt wurde alte chinesische Volksmusik auf chinesischen Volksinstrumenten. Ein Titel ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. Er lautete: „Heimliche Umzingelung von allen Seiten“. Hat mich damals sehr beeindruckt.

Der Titel kam mir in den Sinn angesichts der Straßen, Gehsteige und Gehwege rund ums Anna-Stift und des Betreuten Wohnens. Nur handelt es sich diesmal nicht um eine feindliche Umzingelung, und von heimlich kann keine Rede sein. Aber „Umzingelung“ – das passt, umzingelt – eingekreist sozusagen – konnte man sich durchaus fühlen.
Da sind zunächst die harmlos und unschuldig aussehenden Schaufeln und Spitzhacken und die vielen Behälter, Schubkarren, glasfaserverstärkten Säcke, die darauf lauern, von tapferen Männern geschwungen und befüllt zu werden. Dann die furchteinflößenden Maschinen-Ungeheuer, deren Zweck mir nicht immer klar wird. Sie sehen ein bisschen wie Vorzeit-Ungetüme aus – lange Kranhälse z.B., deren Laufband wie eine gierige Zunge dauernd mit Straßendecken-Abraum belegt werden muss, weil das Untier, ein großer, offener Lastwagen, ewig hungrig ist. Andere Baumaschinen machen einen höllischen Lärm, rattern und knattern; wiederum andere von der Spezies „Drache“ spucken Hitze und Feuersglut aus.
Und das alles U-förmig um die Nummern 43/1 und 43 herum. Lediglich die Rothstraße hat ihr gewohntes Aussehen verteidigt.

Nach Feierabend endlich, wenn alle lahm gelegt und ruhig gestellt sind, kann man auf einem kleinen Rundgang in den einen oder anderen weit geöffneten , kohlschwarzen Schlund blicken, manchem entströmt ein penetranter Teer-Atem.

Und dann: diese rüde Art der Fortbewegung : Wenn überhaupt auf Rädern, dann gleich zwei oder drei nebeneinander, relativ klein, aber mit unverschämt dicken, wulstigen Reifen. Das Hauptvergnügen dieser Maschinenwesen scheint es zu sein, alles platt zu walzen. Walzen, Walzen, wohin man blickt, einzeln oder zu mehreren nebeneinander, Walzen jeder Länge, jeden Durchmessers: „Rette sich wer kann!“

Die wahre Herausforderung aber stellt sich für die Bewohner, die mit Stöcken, Armstützen, Rollator ihre „Gehwerkzeuge“, sprich Füße, in Bewegung setzen (ein Bravo auf die tapferen Füße der Rollstuhl-„Schieber“!). Tücken und Gefahren allüberall! Wehe, wenn man nicht mehr so gut sieht! Eine Unachtsamkeit und der Fuß steckt in einem weggebrochenen Stückchen Asphalt fest, das Loch gerade groß genug , den Vorderfuß festzuhalten! Die Bordsteinkanten wiederum warten mit einer Vielzahl an Höhenunterschieden auf. Muskeln und Gleichgewicht werden ständig in Übung gehalten durch die tolle Auswahl an Straßenbelag – himmlisch glatte Abschnitte, bröselige Strecken, kantige Schottersteine, sogar nur Sand.
Bleibt die Vorbereitung der endgültigen Straßendecke: Die größten Löcher notdürftig etwas aufgefüllt, präsentierte sich ein nass glitzernder Belag, der wie Wasser aussah – oder war das etwa schon Teer? Misstrauisch beäugt von Fußgängern am Straßenrand, tippten manche vorsichtig mit der Fußspitze darauf – blieb da was kleben? Schließlich wagten ganz Mutige die Überquerung und - kamen sicher ans andere Ufer. Wie bei jeder Baustelle gibt und gab es auch hier die Grüppchen sachverständiger Zuschauer (allesamt natürlich Männer), die hätten einer unbedarften Fußgängerin wie mir sicher das eine oder andere erklären können, aber: dann wären das Rätselraten und die Spannung, die das Vorhaben einer Rundum-Erneuerung der Zeitblomstraße bietet, vorzeitig beendet gewesen, so aber konnte man weiter grübeln.
Wir erlebten einen „Nichts geht mehr“ - Montag, d.h. keine Ausfahrt aus Garage und von Stellplätzen möglich; „Straße frei“ für das Auftragen der Teerdecke. Wie lange das wohl dauern würde?
Ungläubiges Staunen am Dienstag: Unser Zeitblom-Abschnitt zwischen Schefold- und Keplerstraße fertig geteert zum Begehen und Befahren. Also wirklich!
Renate Pauschmann